Ein Wochenende im Schnee sollte es werden. Es wird ein Wochenende in der Hölle.

**** ! Achtung, Spoiler ! **** (aber klar doch)

TOXISCH ist die neue Serie der Filmemacher Jonas Wuttke und Jonas Ems. Mit schlafwandlerischer Sicherheit zeigen Wuttke und Ems eine zutiefst verunsicherte Generation, die hinter der Fassade nicht einmal dem festen Partner oder der allerbesten Freundin vertrauen kann.

Der Schauplatz ist eine Ferienvilla im Schnee. Zentriert um das Spiel »Wahrheit oder Pflicht?« enthüllt die Freundesgruppe ein persönliches Geheimnis nach dem anderen. Und eben diese Geheimnisse lösen eine Kaskade der inneren Zerstörung aus.

»Wahrheit oder Pflicht?« Unaufhaltsam schwappt das Spiel der Freunde ins gemeinsame Wochenende hinein.

Ihr verletzendes Spiel setzen sie auch in Einzelgesprächen fort. Und jede neue ›Wahrheit‹ tut weh. »Ich bin so häßlich«, sagt Zoe über ihren perfekten Körper. »Ich hasse mich«, weint Lina, nachdem sie die tiefsten Komplexe ihres Partners herausposaunt hat. »Du bist ein kranker Psychopath, der mich einsperrt«, beschuldigt Emma ihren Geliebten. »Ich brauche Dich«, flüstert Simon der Frau zu, die er seit vier Jahren heimlich liebt — und die ihn abweist. »Wir sind BEIDE das Problem«, schreit Lina ihren Freund Anton im Streit an. Überhaupt die Streits. Worum geht es? Um Neid, Eifersucht, Alkohol, Versöhnungssex und Fremdgeh-Vorwürfe. Außerdem geht es um immer neue Ausreden, immer neue Liebesschwüre und immer neue Wutausbrüche (und ja, immer neue ›Schwanzvergleiche‹ zwischen Simon und Noah).

Gelegentlich blitzt die ›Pflicht‹ auf, die die sechs Freundinnen und Freunde im echten Leben erfüllen wollen (oder müssen).

Wie überhebliche Erwachsene benehmen sie sich dann. »Wo siehst Du Dich in fünf Jahren?«, fragt Simon herausfordernd. »Wie viel verdienst Du monatlich?«, will Anton von Noah wissen. Da wird die ›beste Freundin‹ bevormundet mit Aussagen wie »Du Hausmütterchen«, »Ich sehe doch, dass Du nicht glücklich bist!« oder »Du hast was Besseres verdient«. Da erteilen gerade Simon und Zoe, die Singles in der Freundesgruppe, gönnerhaft Ratschläge für mehr Erfüllung in der Liebe — und im Bett.

Gerade das junge Paar Anton und Lina hat diesbezüglich Probleme. Wenn Jonas Wuttke als Anton frustriert-hoffnungsvoll flüstert »Das wird uns als Paar gut tun!«, wirkt er wie ein Mittvierziger, der seine scheiternde Ehe retten will. — Überhaupt sind Jonas Wuttke als Anton und Kayla Shyx als Lina für mich die heimlichen Stars dieser Serie. Ihr zurückhaltend-subtiles Schauspiel beeindruckt sehr.

Auch die anderen Schauspieler:innen (Jonas Ems, Flora Li Thiemann, Vivien Wulf) überzeugen in TOXISCH. Einzig Bene Schulz fällt etwas ab. Wenn er Wut oder Unsicherheit darstellen soll, schüttelt er fortwährend seinen Kopf. So spricht kein normaler Mensch. Wenn er weinen soll, verzieht Schulz nur das Gesicht. Leider bleibt seine Rolle daher etwas eindimensional. Eine fesselnde musikalische Untermalung und die gekonnte Kameraführung runden das Filmerlebnis ab. Wuttke und Ems entfalten in ihrer neuen Serie ein vielschichtiges Drama, das einen innerlich lange aufwühlen wird.

**** ! Achtung, Spoiler ! ****

Die vier Folgen sind vom Storytelling her ordentlich durchkomponiert und wirken wie ein 90-minütiger Kinofilm. Nur wenige Handlungsstränge bleiben unaufgelöst.

// Warum blieb Lina überhaupt so lange mit Anton zusammen: War es Mitleid, Gewohnheit, Bequemlichkeit…?

// Welche sexuelle Orientierung hat Anton wirklich? Warum ist ihm die Beziehung zu Lina so wichtig? (Familiärer Druck?)

// Wieso kann die Schulabbrecherin Emma denn ein Fernstudium beginnen?

// Liebt Simon Emma tatsächlich, oder möchte er sie nur gewinnen, weil Noah sie nicht haben soll? Wieso hat er dann nicht viel früher einen Move gestartet? Wieso dann diese vielen Dates und Affären mit anderen Frauen?

// Warum weist Emma den Kuss-Versuch von Simon kategorisch zurück, aber die deutlich offensiveren erotischen Avancen von Lina (inklusive Kuss in der Badewanne) nimmt sie entgegen? —

 

Als schlussendlich zwei Mitglieder der Freundesgruppe gewaltsam in den Tod gerissen werden, bleibt man als Zuschauer ratlos zurück. Welche dieser unterschiedlichen Beziehungen war denn nun nicht toxisch?

Eines ist überdeutlich: Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.

 

foto (c) moonvibe berlin